Das Alter beeinflusst unsere Zeitwahrnehmung. In der Kindheit kommt uns ein Jahr wie eine Ewigkeit vor, im Alter dagegen scheint es wie im Flug vergangen zu sein. Geht es Ihnen auch so, wenn Silvester schon wieder ein neues Jahr einläutet? Wo ist das alte Jahr hin? Dieser Eindruck lässt sich vermeiden, wenn man mit Routinen bricht. Warum das so ist, haben die Experten der Initiative "7 Jahre länger" des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) genauer unter die Lupe genommen.
Wo ist nur die Zeit geblieben?
Kaum zu glauben: Seit der deutschen Wiedervereinigung sind mehr als 30 Jahre vergangen. Das WM-Sommermärchen in Deutschland liegt bereits 17 Jahre zurück. Auch der Sieg von Lena Meyer-Landrut beim Eurovision Song Contest ist schon 13 Jahre her. „Wo ist nur die Zeit geblieben“, fragt man sich auch, wenn der Personalausweis bald abläuft oder der Kalender an den jährlichen Zahnarzttermin erinnert. Ach ja, wird es auch für Sie Zeit Ihren Führerschein umzutauschen?
Die Zeit ist eigentlich eine konstante und messbare Größe. Eine Minute hat 60 Sekunden, ein Tag hat 24 Stunden. Dennoch stimmt unser Zeitempfinden nur selten mit dem überein, was die Uhr anzeigt. Vor allem, wenn wir älter werden, scheint die Zeit wie im Flug zu vergehen. Eben noch Silvester gefeiert - und schon ist wieder ein Jahr vorbei. Das Gefühl ewig langer Sommerferien? Kennen wir nicht mehr.
In jungen Jahren gibt es mehr Neues zu entdecken
Dass dieser Eindruck offensichtlich Methode hat, konnten deutsche Forscher in einer Studie zeigen. Sie fragten 500 Probanden zwischen 14 und 94 Jahren unter anderem danach, wie schnell für sie die letzten zehn Jahre vergangen sind. Teenager empfanden dies als eher langsam, den 20- bis 59-Jährigen kam es hingegen so vor, als würde die Zeit immer mehr an Fahrt aufnehmen.
Für Marc Wittmann, Studienleiter, Psychologe und Autor des Buches „Gefühlte Zeit“, ist die Ursache klar: „Ich bin überzeugt davon, dass das Gedächtnis die Zeitwahrnehmung maßgeblich bestimmt.“ Besonders tief und detailliert eingebrannt werden dabei Erfahrungen, die neu, spannend und emotional sind. Die erste Liebe, der erste Sex, die erste eigene Wohnung, die Schul- und Ausbildungszeit. Alles Dinge, die wir geballt in den jungen Jahren erleben und die sich zu einem langen inneren Film mit vielen Handlungssträngen verbinden.
Rückblickend verkürzt sich die Zeit
Mit zunehmendem Alter geht dieser Effekt langsam verloren. Man hat jahrelang den gleichen Job, eine feste Partnerschaft, einen festen Freundeskreis. Die „ersten Male“ werden seltener und der innere Film schrumpft zu einem Kurzfilm. Denn Routinen hält das Gedächtnis für wenig erinnerungswürdig. Vieles wird gar nicht erst abgespeichert oder zu größeren Zeitabschnitten zusammengefasst. „Wenn man wenig Neues, Aufregendes erlebt, bleiben auch weniger Erinnerungen, und die Zeit erscheint im Rückblick kürzer“, sagt Wittmann. Auf den Punkt gebracht: Langweilige Zeiten sind in der Erinnerung kurz, aufregende Zeiten sind in der Erinnerung lang.
Forscher der Duke University erklären die Veränderung des Zeitempfindens im Alter dagegen neurobiologisch. Während das Gehirn in der Kindheit und Jugend Reize aus der Umwelt - zum Beispiel Bilder, Gerüche und Geräusche - wie ein Schwamm aufsaugt, ist es dazu im späteren Leben immer weniger in der Lage. Denn das Netz der Nervenbahnen wird mit den Jahren immer komplexer, Informationen müssen weitere „Wege“ zurücklegen, und es dauert entsprechend länger, bis etwas verarbeitet ist. So werden pro Tag deutlich weniger Eindrücke im Gedächtnis gespeichert, was den Eindruck verstärkt, die Zeit sei rückblickend schnell vergangen.
Neugierde und Achtsamkeit als "Bremsen" der Zeit
Müssen wir uns also dem „Zeitdiebstahl“ beugen und uns damit abfinden, dass uns ein Großteil der 81 Jahre - so alt werden die Deutschen heute im Durchschnitt - durch die Finger rinnt? Nein, ganz im Gegenteil. Denn die gefühlte Lebenszeit lässt sich durchaus verlangsamen. Vor allem, indem wir uns von Routinen verabschieden, neugierig bleiben und Raum für neue Erfahrungen schaffen. Mit dem Fahrrad statt mit der Bahn zur Arbeit fahren, den Job wechseln, den Freundeskreis erweitern, eine neue Sprache lernen, ein unbekanntes Land bereisen - alles, was uns zunächst fremd ist, regt die Reizverarbeitung an und gibt dem Gedächtnis neue Nahrung.
Forscher Wittmann hat auch herausgefunden, dass zwei Fähigkeiten eng miteinander verbunden sind: Körpergefühl und Zeitgefühl. Für beides ist die Insula, ein Teil der Großhirnrinde, zuständig. Um Zeiträume richtig einschätzen zu können, braucht der Mensch also nicht unbedingt eine Uhr, sondern vor allem die Wahrnehmung körperlicher Signale wie Herzschlag, Atemfrequenz oder Temperatur. All das bleibt weitgehend auf der Strecke, wenn wir Zeit sinnlos und stupide vertrödeln. Zum Beispiel am Handy oder vor dem Fernseher.
Ab 60 läuft die Uhr wieder so langsam wie in jungen Jahren
Werden Körperimpulse hingegen bewusst wahrgenommen, kann die „Uhr“ verlangsamt werden. Yoga und Achtsamkeitsübungen haben einen solchen entschleunigenden Effekt. Oder die Fähigkeit, Langeweile zuzulassen. Vielleicht beim Warten auf den Bus nachzudenken oder die Umgebung zu beobachten, statt sich krampfhaft durch Scrollen auf dem Smartphone abzulenken.
Erstaunlicherweise scheint die Entschleunigung der Zeit ab einem gewissen Alter wieder wunderbar zu funktionieren. So gaben in Wittmanns Studie die über 60-Jährigen an, nicht mehr das Gefühl zu haben, dass die Jahre im Zeitraffer vergehen. Warum auch nicht? Ähnlich wie die Jugend bietet der Ruhestand Zeit, Neues auszuprobieren und wieder „erste Male“ zu erleben, die in Erinnerung bleiben. Wer später auf ein erfülltes und vor allem langes Leben zurückblicken möchte, sollte damit nicht bis zum Rentenalter warten.
Unser Tipp:
Auch bei der eigenen Altersvorsorge spielt der Faktor Zeit eine wichtige Rolle. Je früher Sie zusätzlich privat vorsorgen, desto geringer sind die Beträge, die Sie für eine zusätzliche Rente monatlich aufwenden müssen. Ohne das Leben im Hier und Jetzt zu vergessen, können Sie dann im Rentenalter Ihr "Mehr" an Zeit ohne finanzielle Sorgen genießen.
Ihre Altersvorsorge gestalten Sie individuell und flexibel. Von der späteren Rentenzahlung versteuern Sie nur einen geringen Anteil. Bei Kapitalzahlungen ist die Hälfte der Erträge meist steuerfrei. Da lohnt sich das Sparen.