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    Unterlassene Hilfeleistung – Das sollten Sie wissen

Dresden, 18. April 2024 | (ks)
 
Ein Kreislaufkollaps in der Sommerhitze mitten in der Stadt. Schlimmer noch ein Autounfall, der Fahrer im verbeulten Blech eingeklemmt. Jeder kann in solche oder ähnliche Notsituationen geraten. Und wird froh sein, in der Not Hilfe zu bekommen. Schnelle und beherzte Hilfe kann Gefahren mindern und sogar Leben retten. Die Frage ist nicht, ob man sich zum Helfen verpflichtet fühlt oder nicht. Aus welchen Gründen auch immer. Zur Hilfeleistung ist grundsätzlich jeder verpflichtet. Und unterlassene Hilfeleistung kann strafbar sein.
 

Beispiele für unterlassene Hilfeleistung:

  1. Verkehrsunfall: Ein Autofahrer beobachtet einen Verkehrsunfall, bei dem ein Motorradfahrer verletzt auf der Straße liegt. Anstatt anzuhalten und Erste Hilfe zu leisten oder den Rettungsdienst zu alarmieren, fährt der Autofahrer einfach weiter, ohne Hilfe zu leisten.

  2. Notfall im öffentlichen Raum: In einem belebten Park wird eine ältere Person plötzlich ohnmächtig und bricht zusammen. Obwohl mehrere Passanten die Situation bemerken, schauen sie weg und gehen weiter, ohne Hilfe zu leisten oder einen Notruf abzusetzen.

  3. Hilferuf in einem Mehrfamilienhaus: Ein Nachbar hört laute Hilferufe aus der Nachbarwohnung, beschließt aber, nichts zu unternehmen und nicht nachzuschauen, obwohl er weiß, dass die ältere, alleinstehende Person dort wohnt. Er ignoriert die Hilferufe und geht davon aus, dass es nicht seine Aufgabe ist, nach dem Rechten zu sehen.
 

Rechtliche Einordnung

In der Regel macht man sich strafbar, wenn man etwas Unrechtes tut, das gegen das Gesetz verstößt. Im Fall der unterlassenen Hilfeleistung kann man sich strafbar machen, wenn man nicht handelt. Juristen sprechen dann von einem Unterlassungsdelikt. Viele Menschen wissen nicht, dass auch das Nichthandeln, das Nicht-Helfen bestraft werden kann.
Bildmontage: Paragrafenzeichen steht auf Schreibtisch

Dazu der § 323c StGB, Absatz 1:

Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

Dröseln wir den sperrigen Inhalt von Absatz 1 des Paragrafen mal auf:
 
  • Bei einem Unglücksfall handelt es sich um ein plötzlich eintretendes Ereignis, das eine erhebliche Gefahr für Personen oder Sachen darstellt oder darzustellen droht.
  • Eine gemeine Gefahr ist eine konkrete Gefahr für Leib und Leben einer größeren Anzahl von Menschen oder für erhebliche Sachwerte.
  • Demgegenüber handelt es sich bei der gemeinen Not um eine öffentliche Notlage von einigem Gewicht, die die Allgemeinheit betrifft.
 
Wann ist Hilfe erforderlich, möglich und zumutbar?
 
  • Erforderlichkeit: Das bedeutet, dass Hilfe "erforderlich" ist, wenn eine vernünftige Person in der Situation davon ausgehen kann, dass die Hilfe dazu geeignet ist, weiteren Schaden zu verhindern. Dagegen ist Hilfe beispielsweise nicht erforderlich, wenn schon jemand anders ausreichend hilft, die betroffene Person sich selbst helfen kann oder sie bereits tot ist. 
  • Hilfeleistung muss möglich sein: Dies betrifft vor allem die physische Möglichkeit beziehungsweise das Vorhandensein der erforderlichen Kenntnisse und Hilfsmittel.
weißes Paragrafenzeichen auf einem Schreibtisch

Behinderung hilfeleistender Personen – Dazu § 323c StGB, Absatz 2:
Ebenso wird bestraft, wer in diesen Situationen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will. Bekannte Beispiele sind die Gaffer, die Rettungskräften im Weg stehen. Oder die Saumseligen, die auf der Autobahn keine Rettungsgasse bilden.

Situationen, wo eventuell keine Hilfe möglich ist

Es gibt verschiedene Situationen, in denen Menschen möglicherweise nicht in der Lage sind, Hilfe zu leisten, obwohl sie grundsätzlich dazu bereit wären. Zum Beispiel:
 
  • Eigengefährdung: Wenn die Hilfeleistung für die Person selbst mit einem erheblichen Risiko verbunden ist, zum Beispiel bei einem Brand, einer Gasexplosion oder einem bewaffneten Konflikt, kann es notwendig sein, sich selbst in Sicherheit zu bringen.
  • Mangelnde Handlungskompetenzen/Überforderung: Einige Personen verfügen möglicherweise nicht über die erforderlichen Kenntnisse oder Fähigkeiten, um wirksam Erste Hilfe zu leisten oder in Notsituationen zu helfen. So ekeln sich manche Menschen extrem vor Blut. Auch Unsicherheit und Angst können Menschen davon abhalten, anderen zu helfen.
  • Geistige oder körperliche Einschränkungen: Menschen mit psychischen oder physischen Einschränkungen sind möglicherweise nicht in der Lage, wirksam zu helfen, selbst wenn sie es wollten. Beispielsweise kann eine Person mit einer Panikstörung in einer stressigen Notfallsituation wie gelähmt und nicht in der Lage sein zu handeln.
  • Mangel an Ausrüstung oder Ressourcen: Manchmal kann es sein, dass die notwendige Ausrüstung oder Ressourcen wie die körperliche Kraft fehlen, um Hilfe zu leisten. Dies könnte zum Beispiel auf einer Bergwanderung bei einer abgestürzten Person der Fall sein, zu der sich ein normaler Wanderer nicht abseilen kann.
  • Mangelndes Bewusstsein für die Notlage: In manchen Fällen kann es einfach sein, dass Menschen nicht erkennen, dass jemand Hilfe benötigt. Unachtsamkeit, Ablenkung oder mangelndes Bewusstsein für den Ernst der Lage können Ursache sein.
 

Was tun, wenn man helfen möchte, der Situation aber nicht gewachsen ist?

Wer im ersten Schock hilflos neben einer Person in Not steht und nicht weiß, was zu tun ist, dem empfiehlt bußgeldkatalog.org eine einprägsame Eselsbrücke: Handle wie ein HELD.
 
hilfeleistung-eselsbruecke-held
 
Zwar hat zumindest jede Autofahrerin/jeder Autofahrer mit dem Führerschein auch einen obligatorischen Erste-Hilfe-Kurs absolviert. Im Laufe der Zeit verblassen die erworbenen Kenntnisse und es entstehen Unsicherheiten, vor allem im Umgang mit Verletzten. Aber mit HELD ist Opfern schon viel geholfen. Hilfreich ist auch, Umstehende um Unterstützung zu bitten oder weitere Autofahrer anzuhalten.
 

Unterlassene Hilfeleistung anzeigen

Geschädigte können eine unterlassene Hilfeleistung anzeigen. Schwierig dürfte – je nach Ort und Geschehen – die Beweisführung sein. In einer Notsituation wird man sicher nicht zuerst Beweise sichern, etwa durch Handyaufnahmen. Kommt ein Fall vor Gericht, entscheidet dieses unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, was an Hilfe möglich gewesen wäre und was nicht. Hinweis: Den Straftatbestand der „unterlassenen Hilfeleistung mit Todesfolge“ gibt es nicht.
 
Wem – zum Beispiel nach einem Unfall – unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen wird, sollte dies nicht auf die leichte Schulter nehmen. In jedem Fall ist es sinnvoll, sich von einem spezialisierten Anwalt beraten zu lassen.

Hilfeleistung und Schadenersatz

Die Pflicht zu helfen ist mit dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gegen Personen- und Sachschäden versichert, die im Zusammenhang mit Hilfeleistungen erfolgen. Schadenersatz kann gegebenenfalls auch vom Verletzten beziehungsweise dessen Haftpflichtversicherung erfolgen.

Der Zuschauereffekt

Die Menschen sind an sich sozial und hilfsbereit, auch Fremden gegenüber. Es gibt jedoch Situationen, in denen sie weniger hilfsbereit zu sein scheinen. Dazu gibt es viele Sozialexperimente beispielsweise mit simulierten Autounfällen. Meist dauerte es eine ganze Weile, bis eines der vorbeifahrenden Autos anhielt.
 
ein roter Mann zwischen blauen Männern
Mit diesem Phänomen hat sich auch die Sozialpsychologie beschäftigt. Wenn zum Beispiel eine Person verletzt am Boden liegt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihr jemand hilft, geringer, wenn weitere Personen anwesend sind, als wenn nur eine Person die Situation beobachtet, schreibt Dr. Michaela Knecht vom Psychologischen Institut der Universität Zürich. Dies wird als Zuschauereffekt bezeichnet. Neben der Sorge, wie Umstehende die eigene Hilfeleistung beurteilen, geht es vor allem um eine Verantwortungsdiffusion. In Personengruppen denkt wahrscheinlich jeder, dass der andere helfen könnte. Da nun alle darauf warten, dass jemand anfängt, wird letztlich weniger geholfen. In solchen Situationen empfehlen die Experten, den Mut zu haben, als erster mit der Hilfe zu beginnen.
Verurteilt: Eklatanter Fall von unterlassener Hilfeleistung
  • Der Zuschauereffekt mag ein Erklärungsmodell für unterlassene Hilfeleistung sein, erklärt aber nicht jedes Verhalten. Bundesweit für Aufsehen sorgte 2016 ein Fall, der sich in einer Bankfiliale in Essen ereignete. Ein 83-jähriger Rentner war zusammengebrochen und lag hilflos im Vorraum der Filiale. Videoaufzeichnungen zeigten, wie vier Bankkunden auf dem Weg zum Geldautomaten achtlos an ihm vorbeigingen oder über ihn stiegen. Erst der fünfte alarmierte einen Arzt. Drei dieser Kunden wurden vom Amtsgericht Essen wegen unterlassener Hilfeleistung zu einer Geldstrafe verurteilt. Der am Boden liegende Rentner sei den Angeklagten schlicht gleichgültig gewesen, so der Richter bei der Urteilsverkündung. "Die solidarische Pflicht, Mitmenschen zu helfen, ist in besonderem Ausmaß verletzt worden", sagte die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer.

Die Entscheidung, anderen in Not zu helfen, ist nicht nur eine rechtliche Verpflichtung, sondern auch eine moralische Verantwortung. Diese Verantwortung trägt jeder Einzelne, um eine solidarische und fürsorgliche Gesellschaft zu schaffen.

Exkurs zum Unterschied zwischen Hilfeleistung und Zivilcourage

Um das Thema abzurunden, noch ein kurzer Schwenk zur Zivilcourage. Und zwar deshalb, weil es leider auch viele Fälle gibt, in denen Helfende selbst Opfer geworden sind, weil sie Zivilcourage gezeigt haben.
 
Zivilcourage zeichnet sich durch die Bereitschaft aus, in schwierigen oder gefährlichen Situationen moralisch richtige Entscheidungen zu treffen und entsprechend zu handeln. Auch wenn dies mit persönlichen Risiken, Gefahren oder Konsequenzen verbunden ist. Zivilcourage geht oft über bloßes Helfen und prosoziales Handeln hinaus, denn sie erfordert auch den Mut, sich konfrontativ gegen Gewalt, Ungerechtigkeit, Diskriminierung, Missbrauch oder Antisemitismus zu stellen. Zivilcourage ist ein notwendiger Bestandteil der Demokratie.
 
Hilfeleistung bezieht sich auf das Handeln, um anderen in Not oder Gefahr zu helfen. Dies kann eine Form von Zivilcourage sein. Aber nicht jede Hilfeleistung erfordert Mut oder die Bereitschaft, persönliche Risiken einzugehen.
 

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